Donnerstag, 10. Juli 2014

Tagebuch - Gedanken - Nur die eine Seite..



Ich halte mich eigentlich für einen reflektierten Menschen und trotzdem geht es mir oft so, dass ich nur eine Seite der Medaille überblicke und diese vehement verteidige, bis mich ein Gegenargument davon überzeugt das ich falsch liege...
Das ist heute mein Thema, es gibt immer zwei Seiten einer Medaille....

Ich habe mir gerade ein Video über einen Polizei Zugriff angesehen.

Mein Temperament ist wiedermal mit mir durchgegangen (ich muss unbedingt bald gesund werden, dann bin ich wieder ausgeglichener...), weil es einseitig und nur in Ausschnittform dargestellt wurde. Die Polizisten wurden in den Kommentaren beschimpft, teils auch Hasserfüllt.

Ich war früher selbst Punk und dementsprechend gegen alles was Uniform trug, inklusive Staat und Staatsmacht (gegen letzteres bin ich immer noch). Ich gehörte zu den Radikalen die sich in jeder Demo wiederfand und gegen die Polizei vorgegangen ist, mit Wasserbomben und co. Ich sah nur diese eine Seite und es hat lange gebraucht bis ich mir die andere Seite ansah...

Ich möchte heute mal etwas zum Thema Polizei schreiben. Ich widme diesen Text meiner Frau, die viele Jahre auf der Straße gegen Unrecht gekämpft hat. Sie wurde bespuckt, angegriffen, mit Wasserbomben und Farbbomben und noch anderen Dingen beschmissen. Sie hat Leid erleben müssen, und sterbende gesehen, sie war Psychologin, Familienberaterin und Seelsorgerin. Sie hat es ausgehalten, als ich ihr meine Geschichte erzählt habe und wir haben zusammen geweint über meine Kindheit und die vielen Jahre die ich in Gewalt gelebt habe. Sie ist Trösterin und Kämpferin gegen das Unrecht dieser Welt. Sie ist der Beste Mensch den ich je kennen gelernt habe.
Sie hat vielen Menschen und Tieren geholfen, gerettet - uneigennützig, denn das kann kein Staat der Welt bezahlen, was sie getan hat... 
Sie ist eine von vielen Polizisten die sich gegen Unrecht stellen.
Der Polizeiberuf wird bewusst in der Öffentlichkeit zurückhaltend dargestellt, das Volk wird auf Gewalt- Videos und negative Infos beschränkt. So das ein Einheitliches Bild dargestellt wird, welches den Polizisten als Machtinstrument, als roboterähnliches Monster, als Aggressivling zeigt.
Ein Polizist wird nicht als Mensch gesehen, sondern als ausführendes Organ eines Staates, ähnlich wie ein Soldat, dessen Beruf immer an erster Stelle steht.

Dieses Einheitsbild ist daran schuld, dass ich als Kind mehr Angst vor der Polizei als vor den mich missbrauchenden, misshandelnden und brutalen Menschen hatte, die meine Kindheit systematisch zerstört haben.
Wäre dieses Bild nicht, ich hätte womöglich keine 12 Jahre in Angst und Missbrauch verbracht.
In gewisser Hinsicht kann ich die Menschen da draußen verstehen, die Polizei als Negativ betrachten. Ich verstehe ihren Unmut und ihre Ängste. Aber ich wünschte mir, sie würden beide Seiten der Medaille sehen. Sich mehr informieren und auch die guten Dinge betrachten die Tagtäglich von Polizisten vollbracht werden.

Das was ihr auf den Videos seht ist eine Momentaufnahme. Viele Polizisten arbeiten mehr als 12 Stunden täglich um Menschenleben zu retten, sie arbeiten auf der Straße bei Wind und Wetter und sie tun es für uns. Denn das was sie verdienen ist ein Witz zu dem was sie einsetzen.

Ich lese oft: "Diese Beamten müssen ja nichts tun..." und ich muss dann jedesmal an mich halten, damit ich nicht gegen den PC springe. Die meisten Polizisten sind nach ein paar Jahren Berufstätigkeit total ausgelaugt, viele finden sich wieder mit der Diagnose Burn Out, oder verlieren ihren Beruf, weil sie verletzt wurden und daher nicht mehr für den Einsatz tauglich sind.
Viele Beziehungen gehen auseinander, weil der Schichtdienst das komplette Familienleben zerstört.
Von denen die ihr Leben lassen mussten, ganz zu schweigen.

Es wird oft und gerne gesagt: "Sie haben sich das ausgesucht!"
Darüber kann ich nur lächeln, es ist nur logisch, das sie genauso wenig Infos bekommen wie ihr.
Nur ist es eben die andere Seite der Medaille, die schöne Welt eines Polizisten, wird da gelegt durch ein gutes Gehalt, Beamtenstatus, Studium usw.
Wenn dann der Alltag im Beruf los geht, springen viele wieder ab. 
Weil sie es nicht aushalten. Manche bleiben, weil sie hoffen auf der Erfolgsleiter nach oben zu gehen, manche bleiben weil sie sich mit dem Beruf identifizieren, manche bleiben weil.. ... letztendlich ist es egal.
Aber leicht ist dieser Beruf nicht und oft muss man mit unschönen Dingen konfrontiert werden. Durchsuchungen in Messiwohnungen, zwischen Kacke und Unrat... den Weg der Maden verfolgen um die Leichte zu finden oder eine Leiche aus dem Wasser bergen... Das ist Alltag!

Ich wusste immer wenn Britta mit einer Leiche in Kontakt kam. Sie ging an mir wortlos vorbei Richtung Bad. Dort zog sie sich um und legte ihre Kleidung gleich in die Waschmaschine. Erst nachdem sie geduscht war, gab sie mir einen Begrüßungskuss. Sie tat das aus zweierlei Dingen, einmal um mir den Geruch einer Leiche zu ersparen und zweitens um mich nicht zu triggern, denn alles was ich aus ihrem Beruf erfuhr hätte mich triggern können.

Ich bin so unglaublich dankbar für ihre Sensibilität. Ich weiß auch noch, dass ich darauf bestand, das sie ihre Waffe nicht mit nach Hause brachte (Trotz Safe). Ich hatte so große Angst davor, weil ich als Kind Erfahrung mit Schusswaffen machen musste. Ich wollte das Ding nicht sehen, nicht anfassen, nicht damit in Kontakt kommen und mein größtes Gebet zu dieser Zeit war: "Bitte lass sie keinen erschießen!"
Und bitte "Lass niemand sie erschießen!!" Sie hat mir die Angst nie nehmen können. Aber das muss sie auch nicht. Sie sagte immer: "Es ist wichtig Respekt vor der Waffe zu haben!"

Wenn sie einmal später kam, hatte ich die Horrorvorstellung, es könnte ihr etwas passiert sein. Es war keine leichte Zeit und ich weiß, das viele Ehen ihrer Kollegen auseinander gingen, eben weil es so schwer war und ist. Manchmal zuckte ich dann zusammen, wenn es an der Tür klingelte... auch eine Horrorvorstellung war, das Draußen ein Kollege von ihr steht, der mir mitteilt sie sei im Krankenhaus oder schlimmer noch, tot.

Der Polizeiberuf ist einer der schwersten Berufe die ich kenne. Ein kleiner Fehler kann den Tod eines Menschen verursachen, das eigene inklusive.
Die Verantwortung dahinter ist sehr hoch. Es gibt natürlich Polizisten die das als Grund sehen, selbst Gewalt auszuüben, Polizisten die überfordert sind mit ihrer Arbeit und das an ihren Klienten auslassen. Das Adrenalin kann der beste Freund, aber auch der schlimmste Feind eines Polizisten sein.
Das möchte ich nicht beschönigen. Gewalt ist im Polizeialltag an der Tagesordnung und sich gegen Gewalt zu entscheiden bedeutet letztendlich runter von der Straße und rein in die Verwaltung.
Und genau da sitzt heute meine Frau.

Sie wurde oft verletzt während ihres Berufs, manchmal kam sie schlecht gelaunt von der Arbeit nachhause, denn der Druck ist groß. Die Polizeiorganisation ist eine Pyramidenorganisation. Wer auf der Straße arbeitet ist ganz unten. 

Ich bewundere sie sehr für das was sie tat, dafür das sie mir einen anderen Blick ermöglicht hat und dafür das sie für unsere Beziehung gekämpft hat. Dafür das sie meine ganz persönliche Entwicklungshelferin war.
Dafür das sie mich auffängt immer und immer wieder.
Ich habe einen Großteil meiner Angst verloren und durch sie nehme ich am Leben teil, durch sie ist das Trauma meiner Kindheit nur noch peripher spürbar.
Ich fühle mich seit 16 Jahren geschützt. Davor war ich schutzlos und voller Panik. Ich dachte an jeder Ecke könnte ein Mensch aus meiner Kindheit lauern und mich wieder und wieder missbrauchen. Die Angst saß mir all die Jahre vor unserer Begegnung im Nacken. Ganz langsam hat sie sich durch mein inneres Trauma gekämpft, sie ist mit mir Jahrelang durch mein Leid gelaufen, Hand in Hand.
Ich glaube nicht, das ein anderer Mensch diese Kraft gehabt hätte. Sie konnte es weil sie durch ihren Beruf genug Erfahrung aufgebaut hatte, um mich zu verstehen, mich zu halten.

Ich verdanke ihr unglaublich viel und ich danke ihr jeden Tag den sie mit mir verbringt. 
Ich danke ihr, dass sie nach ihrem Berufsalltag noch die Tiere versorgt und das sie seit 16 Jahren jeden Tag mehrmals anruft, einfach nur um zu wissen wie es mir geht.

Das ist mehr als Liebe, in einem Wort aussagen kann.

Durch sie habe ich wieder ins Leben gefunden. Das weiß ich. Und vor fast 7 Jahren hat sie mir das größte Geschenk meines Lebens gemacht, sie hat unsere Tochter geboren. Denn ich selbst kann keine Kinder bekommen. Ich bin durch das Trauma meiner Kindheit unfruchtbar.
All das und noch viel mehr verdanke ich einen Menschen mit diesem Beruf...

Und egal welche Videos im Internet kursieren, ich weiß es besser, denn die beste Frau der Welt, der beste Mensch den ich je kennen gelernt habe, ist Polizistin. 

Ich liebe dich Britta, mehr als ich je sagen könnte.... Du warst mein Stern in einer dunklen Nacht!!! Und auch jetzt da die Nacht ihre Tiefe der Dunkelheit verloren hat, da leuchtest du  immer noch und wirst immer leuchten. 

DANKE und Namasté 
Deine Jo